An volle Stadien erinnert sich kaum noch einer. Gerade in der Pandemie...

Sport: Der unterschätzte Wirtschaftsfaktor

Die Corona Pandemie trifft den Sport in Deutschland hart. Im Profisport hat man sich schon fast an fehlende Zuschauer gewöhnt, der Amateursport steht seit Monaten still. Die Auswirkungen sind zahlreich: gesundheitlich, sozial, wirtschaftlich. Frank Meyrahn spricht im Interview über die Messung der wirtschaftlichen Bedeutung des Sports und wirft einen Blick auf den Sport während und nach der Corona Pandemie.

Frage: Herr Meyrahn, Sie sind mit mitverantwortlich für das Sportsatellitenkonto Deutschland. Was genau ist denn das Sportsatellitenkonto?
Frank Meyrahn, Geschäftsführender Gesellschafter 2HMforum. Für beste Beziehungen.
Frank Meyrahn, Geschäftsführender Gesellschafter 2HMforum. Für beste Beziehungen.

Frank Meyrahn: Sport ist nicht nur eine beliebte Freizeitaktivität, sondern hat auch wirtschaftlich eine erhebliche Bedeutung für Wertschöpfung, Beschäftigung und Konsum. Ob aktiv betrieben oder passiv als Zuschauer verfolgt: Sport hat sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Die statistische Erfassung bzw. die konkrete Messung ist jedoch nicht trivial. Die Sportwirtschaft als Querschnittsbranche setzt sich aus einer Vielzahl von Wirtschaftszweigen bzw. Teilen dieser Wirtschaftszweige zusammen, weswegen Umsatz-, Beschäftigungs- und Wertschöpfungsbeiträge nicht direkt aus der amtlichen Statistik abgeleitet werden können.

 

„Sportwirtschaft ist Teil fast jedes Wirtschaftsbereichs“

 

Diese Problematik haben auch andere Querschnittsthemen wie beispielsweise die Gesundheit oder der Tourismus. Durch die Erstellung von sogenannten Satellitenkonten zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) bietet die Wirtschaftsstatistik ein etabliertes Verfahren zur nachvollziehbaren Ermittlung der direkten ökonomischen Bedeutung von Querschnittsaktivitäten. Sportwirtschaft ist Teil fast jedes Wirtschaftsbereichs, denken Sie an Produkte der Chemischen Industrie, die letztlich als oder im Dünger für Fußball- oder Golfrasen münden oder an Produkte der Stahlindustrie, die in Ski, Snowboards oder Schlittschuhen ihre Verwendung finden.

Wir konnten zusammen mit unseren Partnern der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung und Herrn Prof. Preuß vom Sportinstitut der Uni Mainz herausfinden, dass Sport ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor ist und diesen konkret beziffern. Die Vorüberlegungen zum Sportsatellitenkonto Deutschland reichen in das Jahr 2000 zurück. Seit dem Berichtsjahr 2008 liegen regelmäßig aktualisierte Daten vor.

 

Frage: Wofür werden diese Daten denn überhaupt benötigt?

Frank Meyrahn: Im Grunde geht es darum, belastbare Entscheidungsgrundlagen für die Akteure der Sportpolitik und der Wirtschaft bereitzustellen. Die Mehrzahl aktiver sportlicher Aktivitäten ist weitgehend an das Vorhandensein einer Sportstätte (z. B. Sporthalle, Schwimmbad, Tennisplatz, Skilift oder ausgewiesene Wanderwege, Reit- oder Fahrradwege) gebunden. Auch für einen Teil des passiven Sportkonsums sind speziell ausgebaute Sportstätten entweder stationär(z. B. Fußballstadien, Multifunktionshallen, Motorsport-Rennstrecken) oder temporär (z. B. Marathonstrecken) notwendig.

 

„Es geht auch darum, mit den gewonnenen Erkenntnissen beispielsweise Investitionen präziser bewerten zu können“

 

Die vorhandene Infrastruktur der bestehenden Sportstätten gilt es zu unterhalten und wenn notwendig auszubauen, sowie neuen Entwicklungen anzupassen. Das stellt für jedes Bundesland, jede Kommune, jeden Verein und jeden privaten Träger eine wichtige Aufgabe dar. Daneben ist zu berücksichtigen, dass ein ausreichendes und bedarfsgerechtes Angebot an Sportanlagen nicht nur direkt den Einwohnern einer Kommune zugutekommt, sondern auch einen wichtigen „weichen“ Standortfaktor darstellt, um Wirtschaftsunternehmen im Gemeindegebiet anzusiedeln und um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Bei Standortentscheidungen kann die Sportinfrastruktur eine ähnlich wichtige Rolle wie günstige Verkehrsanbindungen, attraktive Bildungs- und Kulturangebote sowie gute Einkaufsmöglichkeiten darstellen. Es geht also auch darum, mit den gewonnenen Erkenntnissen beispielsweise Investitionen präziser bewerten zu können.

 

Frage: Welche Ausgaben messen Sie denn genau, aus welchen Faktoren stellen sich Ihre Zahlen zusammen?

Frank Meyrahn: Wir messen sehr viel, aber bei Weitem nicht alles. Bei einem derartig komplexen Gebiet wie der Sportwirtschaft begrenzen wir uns stets auf makroökonomische sprich volkswirtschaftliche Ergebnisgrößen. Im Wesentlichen sind die Befragungsfelder: Privater aktiver und passiver Sportkonsum, Sportstättenbau und Sportbezogene Werbung, Medienrechte und Sportsponsoring.

 

„Welche der Familien leistet aus Sicht der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einen höheren Beitrag zum BIP?“

 

Hierzu 2 Beispiele: Eine Familie aus Mainz mit 3 Kindern fährt einmal pro Jahr für eine Woche nach Südtirol zum Skifahren. Die Eltern haben eigene Wintersportausrüstung, welche sie in München gekauft haben. Die Kinder mieten in Italien ihre Ausrüstung. Nach der an sich schon sehr aufwendigen Befragung, um diese Information zu bekommen, beginnt nun die Berechnung und die Abgrenzung. Welche Leistungen und Produkte sind Export und Import? Welchen Verkehrsträger hat die Familie genutzt? Eine andere Familie wohnt in Garmisch und geht an rund 15 Tagen pro Jahr in die lokalen Skigebiete und fährt dorthin überwiegend mit dem Skibus. Welche der Familien leistet aus Sicht der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung einen höheren Beitrag zum BIP?

Ein letztes Beispiel: Medienrechte werden oftmals von ausländischen Gesellschaften vermarktet. Ein inländisches Unternehmen erwirbt diese. Was ist davon Export und Import?

 

Frage: Und was sagen Ihre Messungen, wie groß ist der Einfluss des Sports auf die Wirtschaftsleistung?

Frank Meyrahn: Die Sportwirtschaft weist für das letzte vorliegende Berichtsjahr einen Beitrag von 2,3% zum Bruttoinlandsprodukt, sprich zur Bruttowertschöpfung aus, dies sind rund 70 Mrd. €.

 

Frage: Welche Sportarten haben denn den größten Anteil an dieser Leistung? Gibt es vielleicht auch Sportarten, von denen man das eher nicht erwarten hätte, die sich dennoch durch einen erstaunlich hohen Einfluss auszeichnen?

Frank Meyrahn: Vorweg: Es gibt bei den von uns untersuchten Sportarten natürlich keine Unbedeutsamen. Wie vermutlich zu erwarten war, stellt Fußball den größten Anteil. Jedoch finden sich Sportarten wie Radsport, Schwimmen, Fitness und Wandern ebenfalls auf den vorderen Plätzen. Dies sind alles Sportarten, die nicht nur durch die schiere Menge der aktiv Sportausübenden eine große Bedeutung besitzen. Diese Sportarten lösen eben auch erhebliche Infrastrukturkosten oder Folgekosten aus.

 

„Fußballspielen kann ich letztendlich nicht nur im Fußballstadion oder auf dem Fußballplatz, sondern auch auf einer sogenannten Sportgelegenheit, sprich Bolzplatz, grüne Wiese“

 

Denken wir hier als Beispiel: Fußballspielen kann ich letztendlich nicht nur im Fußballstadion oder auf dem Fußballplatz, sondern auch auf einer sogenannten Sportgelegenheit, sprich Bolzplatz, grüne Wiese. Wohingegen ich zum Schwimmen in aller Regel, wenn ich jetzt nicht an einem See oder am Meer wohne, ein sehr aufwendig kostenintensives Schwimmbad benötige. Ich möchte auch kurz über Sportarten zu sprechen kommen, an die man vielleicht nicht sofort denkt, weil sie nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Es gibt Sportarten wie zum Beispiel Schießen oder Segeln, die verbunden mit der erheblich teureren Ausrüstung, zu einem erheblich bedeutsameren volkswirtschaftlichen Anteil führen als zum Beispiel Joggen oder Wandern.

 

Frage: Wie wirken sich die Einschränkungen des vergangenen Jahres auf den Sport aus? Was können die Akteure machen, um diesen entgegenzutreten?

Frank Meyrahn: Wir führen aktuell eine Sondererhebung zum Sportsatellitenkonto rund um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den organisierten Sport und weitere Teile der Sportwirtschaft durch. Ich kann an dieser Stelle leider noch nicht auf die konkreten Erkenntnisse eingehen, da wir gegenwärtig die erhobenen Daten noch auswerten.

Bei allem Dramatischen, was wir alle beobachten und auch miterleben müssen, denken Sie an leere Stadien, an Sportvereine, die seit Monaten fast keinen echten Kontakt zu Ihren Millionen Mitgliedern pflegen können, bin ich doch recht optimistisch, was die Zukunft betrifft. Die rund 90.000 Sportvereine gelten als die größte Interessensgemeinschaft in Deutschland. Sport, Vereine, Zusammenhalt und gemeinsame Erlebnisse können gerade nach der Pandemie sogar weiter an Bedeutung gewinnen. Sehen Sie mir meinen Optimismus nach vorne hin nach. Es mag einige wenige Ausnahmen geben, die kurzfristig sogar von der Pandemie profitierten. Dennoch sind schon einige erheblich bedeutsam und große Marktakteure bereits vom Markt verschwunden oder werden sicherlich leider noch verschwinden. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass die Sportwirtschaft diese Herkulesaufgabe stemmen wird und dass es in einer Zeit nach Covid zu einem Wiederaufblühen des Vereinslebens, des Sports in Deutschland führen wird.

 

„Sport ist Gemeinschaft, Sport führt zu Erlebnis, Verständigung, Integration“

 

Ich habe vielleicht eine Bitte oder gar einen Appell an die Akteure der Sportwirtschaft: Sie dürfen nicht müde werden, Ihren Mitgliedern, aber auch den Sportlern und Sportlerinnen des nicht organisierten Sports die Bedeutung von Sport zu vermitteln. Wir beschäftigen uns zwar mit Leidenschaft mit den spannenden und nackten Zahlen, Sport ist jedoch weitaus mehr als das. Denken Sie daran, was Sport alles ist: Sport ist Gemeinschaft, Sport führt zu Erlebnis, Verständigung, Integration. Nicht zu vergessen die gesundheitlichen Aspekte des Sports. Von daher bin ich recht optimistisch, was die Zukunft betrifft, auch wenn wir alle grade noch eine sehr schwere Zeit durchgehen müssen.

Das Interview gibt es auch als Video auf unserem Youtube Kanal: